Lange Zeit sieht alles nach einer Agentengeschichte aus dem Zweiten
Weltkrieg aus. Ende 1940 schreibt Henry, der Sohn eines
Großunternehmers, an seine Familie, die NSDAP habe ihn "in besonderer
und geheimer Mission" nach Südafrika geschickt. Dann verlieren sich
seine Spuren. Mittlerweile ist der Vater gestorben, ein Millionenerbe
soll verteilt werden. Doch wo ist der Sohn? Und hat er Nachfahren? Der
Bremer Nachlassermittler Frank Bergmann macht sich Jahrzehnte später auf
die Suche nach dem verschollenen Mann. Irgendwo in Afrika.
Gewerbliche Ermittler wie Bergmann kommen ins Spiel, wenn die vom
Amtsgericht bestellten Nachlasspfleger auf der Suche nach Erben nicht
weiter kommen oder wenn die Recherche zu teuer wäre. "Dann geht es immer
um schwierige Fälle", verdeutlicht der ehemalige Umwelttechniker. "Um
Leute, die im Ausland leben, um Vorfahren aus den ehemaligen deutschen
Ostgebieten, früheren deutschen Kolonien, um Urkunden, die im Ausland
beschafft werden müssen." Bundesweit gibt es etwa 120 Firmen, die so
arbeiten, einige davon organisiert unter dem Dach des Verbandes
Deutscher Erbenermittler.
Mit detektivischem Gespür und Lebenserfahrung macht sich Bergmann in der
Regel im Auftrag eines Nachlasspflegers an die Arbeit, um in Archiven
nach Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden zu fahnden. Doch im Fall von
Henry kommt er lange Zeit nicht voran. Der genaue Aufenthaltsort bleibt
im Dunklen, denn die Familie hatte nicht nur Verbindungen nach
Südafrika, sondern auch nach Namibia. "In Situationen wie diesen stellt
man gedanklich die ganze Welt auf den Kopf", erinnert sich Bergmann.
Dann der entscheidende Geistesblitz: "Auch Agenten haben einen 50.
Geburtstag und wollen den standesgemäß feiern." Schon zuvor hatte der
Bremer in akribischer und jahrelanger Arbeit einen wandfüllenden
Stammbaum erstellt, um Generationen und Familienteile zu dokumentieren.
Nun durchsucht Bergmann über Wochen die Archive von Zeitungen aus den
ehemaligen deutschen Kolonialgebieten. Bis er tatsächlich auf eine
Glückwunschanzeige stößt, die von Freunden des Jubilars geschaltet
worden war. Treffer.
Mit den Daten können der Wohnsitz und alle weiteren Informationen
ermittelt werden. Klar wird dabei allerdings, dass Henry gestorben und
kinderlos geblieben war. Fachleute sprechen von einem "toten Ende". Doch
immerhin: Bergmann schließt die Dokumentation des Erbfalls erfolgreich
ab. Dabei zeigt sich auch, dass Henry gar kein Agent war. Er hatte das
Schriftstück mit dem offiziellen Briefkopf der NSDAP selbst verfasst, um
sich so vom Krieg in Europa absetzen zu können.
Bergmanns "Hanseatische Erbenermittlung" bearbeitet derzeit 50 Fälle.
Manche stehen ganz am Anfang, andere kann er demnächst abschließen.
Dafür recherchiert er im Internet, stöbert in Archiven von Standesämtern
und Kirchen, sichtet Auswandererlisten, Klassenbücher, Heuerbücher und
Beichtregister. Auch Telefonbücher. "Ich nehme alles", sagt der
44-Jährige mit einem Lächeln. Manchmal verfolgt der Stammbaum-Detektiv
seine Spuren sogar auf Friedhöfen. "Grabsteine verraten Namen und
Daten", sagt er. "Wichtig ist aber auch, wer die Grabstelle und wer den
Gärtner bezahlt."